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»Schamgefühl bezeichnet das angstvolle Bewusstsein, eine gültige Norm oder die Erwartungen anderer so verletzt zu haben, dass man ihre Achtung verlöre, würde es öffentlich bekannt.«, sagt die wikipedia.

Und weiter: »Ein typisches Beispiel für ein Schamgefühl ist die empfundene Nacktheit, also die Unterschreitung einer Mindestgrenze an körperlicher Bedeckung.«

Ob Nacktheit als solche "empfunden wird" hängt nun sicherlich von der Situation ab, in der man sich befindet, ebenso wie die Frage, wann man eine "Mindestgrenze körperlicher Bedeckung" unterschreitet. In einem Oben-ohne-Bikini ist man am Strand noch ordentlich gekleidet, beim Einkaufsbummel durch feudale Geschäfte oder beim Gottesdienst wird man damit die Mindestgrenze unterschreiten. In der Sauna oder unter der Dusche ist es in Deutschland selbstverständlich, dass man nackt ist. FKK-Freunde empfinden es als genauso selbstverständlich, dass beim Baden, Sonnen, Sport und Spiel am Strand jegliche Kleider unpassend sind.

Baguette-Kauf beim Bäcker
Grund zur Scham? Zumindest unkonventionell ist ein nackter
Baguette-Kauf beim Bäcker. Quelle: Usenet

Damit bleibt festzustellen, dass unser nackter Körper an sich kein Grund zur Scham ist. Wie sollte er auch! Er ist ein Geschenk der Natur oder, nach anderer Darstellung, die Schöpfung Gottes oder Allahs nach seinem Ebenbilde, und es wäre sicher undankbar und gotteslästernd, die göttliche Schöpfung derart gering zu schätzen, dass man dafür Scham entwickelt!

Beachtenswert sind in diesem Zusammenhang die Worte von Papst Johannes Paul II. zur Nacktheit: »Da er von Gott geschaffen ist, kann der menschliche Körper nackt und unbedeckt bleiben und bewahrt doch unberührt seinen Glanz und seine Schönheit.« Und weiter: »Nacktheit als solche darf nicht gleichgesetzt werden mit physischer Schamlosigkeit.«

Sich seiner Nacktheit schämen muss man sich also nur dann, wenn die Nacktheit in einer Situation stattfindet, die für's Nacktsein nicht geeignet ist.

Aber darüber, in welchen Situationen Nacktheit angemessen sein kann oder nicht, darüber gibt es keine allgemeine Übereinstimmung. Denn Scham eine sehr individuelle Angelegenheit - Ursache dafür ist, dass Scham immer anerzogen ist und es keine allgemein gültige Regel gibt, wofür man sich schämen soll und wofür nicht.

Beispiele: Mit Zustimmung der jeweiligen Hausherren gab es bereits mehrfach nackte Museumsbesuche (z.B. ↗ Wien 2013, ↗ Münster (Westf.) 2015), nackte Abendessen im Restaurant (Hamburg seit 2011, ↗ Jena und ↗ Altenberge seit 2016), nackte Theaterbesuche (↗ Düsseldorf 2016, ↗ Essen 2017, ↗ Jena 2020) oder nackte Aktionen mitten in der Stadt (↗ Münster 2017, ↗ Clausthal-Zellerfeld 2017, ipng  Zürich 2018). Es geht also, und zwar ganz ohne Scham.

  • Wenn ich gern nackt zu Haus bin - ist es dann angemessen, nackt an die Tür zu gehen, wenn es klingelt?
  • Ist es angemessen, wenn ich nackt Rasen mähe oder Fenster putze? Oder den Bürgersteig fege oder Unkraut zupfe?
  • Ist es angemessen, nackt auf der Terrasse oder dem Balkon oder im Garten zu sonnen, auch wenn der Platz von außen leicht einsehbar ist?
  • Ist es angemessen, sich im Stadtpark nackt auf den Rasen zu legen und zu sonnen?
  • Ist es angemessen, nackt in einen Fluss zu springen, um sich abzukühlen?
  • Ist es angemessen, nackt zu wandern, zu joggen oder anderen nackten Sport in der Natur zu betreiben?

Dies alles sind Aktivitäten, die von vielen Naturisten als »zum Nacktsein geeignet« eingestuft werden - andere werden dafür kein Verständnis haben und sagen: "Sie sollten sich schämen!". Die wenigsten von ihnen wissen allerdings, was Papst Johannes Paul über die Nacktheit gesagt hat.

Nackt baden in einer Brunnenanlage
Grund sich zu schämen? WNBR-Teilnehmer
in Barcelona baden in einer Brunnenanlage. Quelle: Usenet

Laut Sigmund Freud ist nur sicher erwiesen, dass es eine angeborene, »natürliche Scham« nicht gibt. Scham ist immer anerzogen, d. h. die Situationen, in denen man sich (nach den gesellschaftlichen Konventionen) schämen soll, sind nur erlernt. Was jedem Menschen angeboren ist, ist lediglich die Fähigkeit, sich überhaupt schämen zu können. Wofür er sich schämen soll, muss ihm aber beigebracht werden.

Der Soziologe Hans Peter Duerr vertritt die Ansicht, dass eine niedrige Schamschwelle eine sehr hohe Zivilisierung voraussetzt. Er sieht daher einen Bedeutungsverlust der Scham - offenbar weil er davon ausgeht, dass wir einen »hohen Zivilisationsstand« erreicht haben. Ob er damit recht hat? Wahrscheinlich gilt das wohl nach wie vor nur für einen (kleinen) Teil der Menschheit.

Im Umkehrschluss bedeutet Duerrs These letztlich: Wer Scham empfindet oder propagiert, dem mangelt es an Zivilisation (oder an intellektueller Kompetenz).

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