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Freiheit

Vor einiger Zeit war ich zu einem 80. Geburtstag eingeladen. Da ein Enkelkind der Jubilarin Wettkampfschwimmerin ist, erzählte sie von ihrer eigenen Freude am Schwimmen. "Nur eines habe ich nie erlebt", sagte sie, "ich bin nie ganz ohne Kleidung schwimmen gewesen - das muss ein wunderschönes Gefühl der Freiheit sein, aber wie gesagt: Ich habe es leider nie erlebt." Übrigens berichtete sie von dieser unerfüllten Sehnsucht ganz ohne zu wissen, dass ich praktizierender Naturist bin - ich habe es ihr dann gesagt: "Nackt zu schwimmen gibt mir ein Gefühl der Freiheit und des Glücks wie - wie für einen Gourmet das Essen in einem Schlemmer-Restaurant!" Muss man 80 Jahre alt werden, um zu bedauern, dass man das Glücksgefühl dieser elementaren Freiheit noch nie erlebt hat? Man muss nicht.
Radiant Identities
Copyright: Jock Sturges, "Radiant Identities"
Gleichheit. Nackt sind alle gleich. Alle Menschen werden nackt geboren und beginnen ihr Leben mit dem gleichen Schrei, der die Lungen zur Entfaltung bringt. Doch kurz danach hört die Gleichheit auf: Die eine bekommt ein seidenes Gewand angezogen, der andere wird in einen Lumpen gewickelt: Die Kleidung ist's, die uns ungleich macht.
In der gemeinsamen Nacktheit am Naturistenstrand sind wir dann doch wieder alle gleich. Mit den Kleidern lässt man seinen gesellschaftlichen Status zurück, man offenbart alle körperlichen Unzulänglichkeiten, die gleichzeitig an Bedeutung verlieren, weil man sie teilt, und gewinnt den natürlichen Charme des unverwechselbaren Individuums. Die Nacktheit macht uns alle gleich verletzlich und verleiht uns allen die gleiche natürliche Würde der Schöpfungsgestalt - und macht uns den Geist frei für das ursprüngliche, tiefe Erlebnis des Menschseins: miteinander und füreinander.
Das gemeinsame Nacktsein stärkt also das Selbstbewusstsein und gleichzeitig die Achtung vor dem anderen Menschen: in der nackten Gleichheit gewinnen alle an Stärke.
Brüderlichkeit meint ein menschliches Miteinander, geprägt von Toleranz, Achtung und Fürsorge, sie meint brüderliches Teilen ebenso wie füreinander Eintreten, Vertretung und Verteidigung der gemeinsamen Ziele und Werte.
Und was hat das mit Nacktsein zu tun? Nun, Nackte sind verletztlich, sie haben keinen Schutz durch Kleidung. Gemeinsam nackt sein heißt, diese Verletzlichkeit darzubieten, sie an sich selbst und an den anderen zu erkennen und zu erleben - und sein eigenes Handeln daran auszurichten. In der Gemeinschaft von Nackten gibt es weniger Aggression aber mehr Rücksicht, weniger Anonymität aber mehr Zugewandtheit, weniger Gleichgültigkeit aber mehr Hilfsbereitschaft.
Das gemeinsame Nacktsein erzieht also zu mehr Brüderlichkeit. Natürlich raufen die Jungs unter den Naturisten genauso wie alle anderen, natürlich zanken die naturistischen Mädchen genauso wie ihre bekleideten Freundinnen, natürlich gibt es auch unter den Erwachsenen Geplänkel und Meinungsverschiedenheiten. Aber das Umgangsklima insgesamt ist stärker geprägt von Toleranz, Verständnis und Gemeinsamkeitsgefühl: von mehr Brüderlichkeit. Und das ist unsere Stärke, die uns niemand nehmen kann!

Prüderie

Prüderie ist eine dem Puritanismus angelehnte Geisteshaltung, die sich gegen die Verderbtheit der Gesellschaft richtet und jede Art von Freizügigkeit verurteilt. Sprichwörtlich prüde ist das Viktorianische Zeitalter oder auch die US-amerikanische Gegenwart. Dort löste vor einiger Zeit der Fall einer Schauspielerin, der während einer Fernsehshow ein Träger ihres Kleides verrutschte, so dass für Sekundenbruchteile ihre Brust zu sehen war, monatelange Diskussionen aus.
Die Psychoanalyse erkennt in der verdrängten oder verbotenen Nacktheit, in dem künstlich herbei geredeten Sündengefühl für das nackte Sein die Ursache zahlreicher Krankheiten wie Depressionen und Phobien, aber auch von Sexual-Kriminalität wie Kindesmissbrauch und von Gewalt gegen Frauen und Kinder.
Ist es Zufall, dass die sprichwörtliche Prüderie des viktorianischen/ wilhelminischen Zeitalters in den Nationalstaats-Fanatismus und die bis dahin unvorstellbare Gewaltexplosion des Ersten Weltkriegs mündete?
Ist es Zufall, dass Frauen bis heute elementare Menschenrechte dort vorenthalten werden, wo die Religion das Nacktsein noch immer verbietet?
Ist es Zufall, dass sich menschenverachtender Terrorismus als fanatische Entartung einer Religion entwickelt hat, die das Nacktsein als Sünde ächtet?
Nein, das ist wohl kein Zufall. Die Geschichte und die Gegenwart sind voller Beispiele, wo Prüderie in Gewaltneigung umschlägt. Die Systematik, aufgrund derer die Prüderie als Geisteshaltung so oft mit Gewalt und Menschenverachtung einhergeht, ist allerdings noch nicht abschließend erforscht.
Wir können nur vermuten, dass die Verdammung von Nacktheit als angebliche Sünde die Neigung zu psychischen Störungen und Kriminalität in Sexual- und Gewalt-Delikten fördern oder diese sogar auslösen kann.
Die Psychoanalyse lehrt uns, dass Sexualstraftäter praktisch immer selbst eine gestörte Sexualentwicklung hatten, oft selbst Opfer gewesen sind.

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