Naturismus — was ist das? Natürlich geht es um Natur, und der Wortabschluss „ismus“ erhebt die Natur quasi zum Prinzip. Es geht also um eine Anschauung und Lebenseinstellung, in der die Natur eine zentrale Rolle spielt.
Die Natur: Das ist die Umgebung unserer Städte, soweit diese Umgebung nicht vollgebaut wurde oder durch Einbringung von Pestiziden und Herbiziden auf den Feldern vergiftet worden ist. Natur sind also Wälder, Moore oder Wiesen, die weitgehend noch so wachsen dürfen, wie sie es täten, wenn der Mensch seine Fähigkeiten unter Kontrolle hätte.
Natur, nur leicht begradigt. Foto: Amadvr. (1|5)
Früher bestand die Welt überall nur aus Natur, und auch die frühen Menschen lebten lange Zeit mit nichts als Natur rund um sich herum. Werfen wir einmal einen Blick zurück:
Am Anfang war alles wüst und leer
So jedenfalls erzählt es uns die Genesis, denn die Schöpfungsgeschichte beginnt mir der Schaffung der Erde und der Sonne und des Himmels über der Erde. Das Leben spielt in der (im wesentlichen gleichlautenden) Schöpfungsgeschichte der Bibel und des Koran erst am fünften Tag eine Rolle, und die angebliche Besonderheit des menschlichen Lebens gar erst am sechsten Tag.
Tatsächlich liegen zwischen dem fünften und dem sechsten Tag der Schöpfung mindestens 3.000 Millionen (= 3 Milliarden) Jahre Evolutionsgeschichte, denn so lange dauerte es, bis sich aus den ersten Lebensformen schließlich vor etwa 6 Millionen Jahren aus damaligen Affenarten die ersten Vormenschen entwickelten.
Zeitskala vom Urknall bis zum Auftreten des Homo Sapiens (2|5)
Menschliche Evolution der letzten 6 Millionen Jahre. (3|5)
Aber auch die weiteren Experimente der Evolution innerhalb der letzten 6 Millionen Jahre über zahlreiche, längst wieder ausgestorbene Menschenarten bis hin zum Neandertaler und den Denisova-Menschen versteckt die Schöpfungsgeschichte in der Nacht zwischen dem fünften und dem sechsten Tag, an dem schließlich der Homo sapiens (genannt Mensch) ins Licht der Welt trat. Von dieser langen Nacht erholte sich dann der Schöpfer am siebten Tag und führte damit den Ruhetag als Abschluss der Sieben-Tage-Woche ein. Wenigstens ein gutes Werk!
„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüst und leer.“ Weil es dem Schöpfer dann aber zu dunkel war, folgte die Anweisung „Es werde Licht“, so erzählt uns die Bibel, und er ließ die Sonne erstrahlen und schuf so Tag und Nacht. Tatsächlich begann der „Schöpfer“ seine Arbeit also erst, als unser Universum schon 10 Milliarden Jahre alt war, denn Sonne und Erde (und das übrige Sonnensystem) entstanden erst vor 4,5 Milliarden Jahren. Was vorher da war (die ersten 10 Milliarden Jahre des Universums), stammt also nicht vom „Schöpfer“.
Am Anfang war alles nackt und bloß
Laut Schöpfungsgeschichte fand der erste Lebensabschnitt der Menschen im Paradies statt, wenn er auch nicht lange währte. Doch, um die Sprache der Genesis auch auf dieses Epoche anzuwenden, könnte der Bericht über die paradiesische Zeit beginnen mit „Am Anfang war alles nackt und bloß“. Dies beschreibt die Situation der Natürlichkeit im jüdischen, christlichen wie auch im islamischen Paradies vor dem „Sündenfall“ [laut Bibel] bzw. weniger drastisch dem (alsbald von Allah verziehenen) „Fehler“ [laut Koran], bei dem Adam und Eva die „Erkenntnis“ erlangten, dass sie nackt waren, und sich danach mit Feigenblättern bedeckten.
Cornelis von Haarlem — Der Fall der ersten Menschen (4|5)
Diese Geschichte ist natürlich völlig unlogisch und daher falsch. Dass jemand erkennt, dass er nackt ist, setzt ja voraus, dass er jemanden kennt, der nicht nackt ist, also „bedeckt“ ist. So jemand hat es aber gar nicht gegeben, denn Adam und Eva waren ja dieser Geschichte zufolge die ersten und einzigen Menschen.
Der Koran weiß für diesen Widerspruch immerhin eine scheinbare Lösung: Es wird beschrieben, dass der Satan Adam und Eva auf dem Weg aus dem Paradies zur Erde entkleidete und ihnen erklärte, wofür sie sich schämen sollten. Das ist natürlich genauso unlogisch — denn wieso sollten Adam und Eva vorher schon Kleidung haben (die der Satan ihnen auszieht!), wenn sie dann erst vom Satan erklärt bekommen, dass sie angeblich welche brauchen und wofür?
Masaccio wusste es besser: Auf seinem Gemälde von 1428 werden die beiden nackt aus dem Paradies vertrieben. Der Blätterzweig wurde später (1680 auf Wunsch von Cosimo III. de’ Medici) d’rübergemalt (und in der Restaurierung 1980 wieder entfernt) (5|5)
Noch eine Unlogik: Warum bedeckten sich Adam und Eva überhaupt, da sie doch die einzigen Menschen waren und von niemand anderem gesehen werden konnten?
Der Weg von der paradiesischen Natürlichkeit „Am Anfang war alles nackt und bloß“ hin zur Körperscham und Bedeckung des Körpers verlief aber in Wirklichkeit recht logisch und einleuchtend.